Die Reichweite der Bindungswirkung von Zusagen in Eingemeindungsverträgen der Gebietsreform in Baden-Württemberg
Zusammenfassung
Veränderungen im kommunalen Bereich - wie die Finanznot der Gemeinden oder der demografische Wandel - sind heute Ursache dafür, dass Zusagen aus Eingemeindungsverträgen, die im Rahmen der Gemeindegebietsreform in den 1970er Jahren zahlreich geschlossen wurden, noch zu Streit zwischen den längst zusammengewachsenen Gemeinden führen.
Im Rahmen der Gemeindegebietsreform in den 1970er Jahren waren viele Gemeinden bereit, freiwillig ihre Selbstständigkeit zugunsten ihrer Eingemeindung in eine größere Gemeinde aufzugeben. Als Gegenleistung für den damit verbundenen Verlust ihrer Selbstständigkeit ließen sie sich von der sie aufnehmenden Gemeinde regelmäßig weitgehende Zusagen geben. Gegenstand vieler Eingemeindungsverträge sind deshalb Zusagen über die dauerhafte Erhaltung von Gemeindeeinrichtungen der eingegliederten Gemeinde, die deren bis zur Eingemeindung selbstständiges Infrastrukturniveau sichern sollten.
Nachdem der Abschluss der Eingemeindungsverträge inzwischen viele Jahre zurückliegt und die nachhaltigen Veränderungen im kommunalen Bereich nicht von der Hand zu weisen sind, untersucht die Autorin in diesem Buch, unter welchen Voraussetzungen solche Zusagen für die aufnehmenden Gemeinden noch bindend sind bzw. ob die Bindungswirkung ausnahmsweise durchbrochen werden darf.
Der erste Teil des Buches bietet einen Überblick über die Möglichkeiten der Eingemeindung und ihre rechtlichen Grundlagen. Der zweite Teil stellt die Voraussetzungen von Eingemeindungsverträgen anschaulich dar. Im dritten Teil des Buches folgt die Darstellung strittiger Zusagen aus Eingemeindungsverträgen anhand von Fällen aus der Rechtsprechung.
Das Buch bietet sowohl für Studierende als auch für Praktiker konkret umsetzbares Wissen.
Schlagworte
- 3–14 Titelei/Inhaltsverzeichnis 3–14
- 15–21 Einleitung 15–21
- Einführung in das Thema
- Vorgehen der Untersuchung
- 22–37 1. Kapitel: Gemeindegebietsreform in Baden-Württemberg 22–37
- I. Ursachen für die Gebietsreform
- 1. Wirtschaftliche Veränderungen
- 2. Politisch-gesellschaftliche und rechtliche Veränderungen
- II. Ziele der Gebietsreform
- III. Gebietsänderungen
- 1. Arten von Gebietsänderungen
- a) Umgliederung
- b) Neubildung
- c) Vereinigung
- d) Eingliederung
- 2. Freiwillige und zwangsweise Gebietsänderungen
- IV. Durchführung der Gebietsreform in Baden-Württemberg
- 1. Gesetz zur Stärkung der Verwaltungskraft kleinerer Gemeinden
- 2. Zweites Gesetz zur Stärkung der Verwaltungskraft der Gemeinden
- 3. Zielplanung von 1973
- 4. Gemeindereformgesetze
- 5. Ergebnisse der Gebietsreform
- 38–51 2. Kapitel: Zulässigkeit von Gebietsänderungen 38–51
- I. Voraussetzungen von Gebietsänderungen nach Art. 74 LV und § 8 GemO
- 1. Freiwillige Gebietsänderungen nach § 8 Abs. 2 GemO
- 2. Zwangsweise Gebietsänderungen nach § 8 Abs. 3 GemO
- 3. Zwischenergebnis
- II. Gründe des öffentlichen Wohls
- 1. Der Begriff des öffentlichen Wohls
- 2. Bestimmung der Gründe des öffentlichen Wohls bei Gebietsänderungen
- a) Gründe des öffentlichen Wohls aus dem Demokratieprinzip
- b) Gründe des öffentlichen Wohls aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz
- c) Gründe des öffentlichen Wohls aus dem Sozialstaatsprinzip
- d) Gründe des öffentlichen Wohls aus dem Allgemeinen Gleichheitssatz
- e) Gründe des öffentlichen Wohls aus sonstigen Rechtsgrundsätzen
- III. Verhältnis freiwilliger Gebietsänderungen zu zwangsweisen Gebietsänderungen durch Gesetz
- 1. Die Stellung der Gemeinden im Staatsaufbau
- 2. Gebietsänderungen als Ausdruck staatlicher Organisationsgewalt
- 52–83 3. Kapitel: Das Selbstverwaltungsrecht aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG im Zusammenhang mit Gebietsänderungen 52–83
- I. Kommunale Selbstverwaltung als institutionelle Garantie
- II. Schutzbereich des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG
- 1. Objektive Rechtsinstitutionsgarantie
- a) Allzuständigkeit
- b) Eigenverantwortung
- aa) Gebietshoheit
- bb) Finanzhoheit
- cc) Personalhoheit
- dd) Organisationshoheit
- ee) Planungshoheit
- ff) Satzungshoheit
- 2. Institutionelle Rechtssubjektsgarantie
- a) Kernbereich
- b) Beschränkt-individuelle Rechtssubjektsgarantie
- 3. Subjektive Rechtstellungsgarantie
- 4. Zwischenergebnis
- III. Schutz des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG außerhalb des Kernbereichs
- 1. Historische Bedeutung
- 2. Demokratieprinzip
- 3. Freiheitsfördernde Gewaltenteilung
- 4. Verhältnis zur staatlichen Verwaltung
- 5. Selbstverwaltungsrecht als entwicklungsoffenes Recht
- IV. Die einer Gebietsänderung zugrunde liegende Abwägung
- 1. Vorgehen bei der Abwägung
- a) Anhörung der Gemeinden bei zwangsweisen Gebietsänderungen
- b) Anhörung der Bürge
- 2. Gang der Abwägung
- a) Abstrakte Rangordnung der Verfassungsprinzipien
- aa) Demokratieprinzip
- bb) Freiheitsfördernde Gewaltenteilung
- b) Konkrete Rangordnung der Verfassungsprinzipien
- c) Übermaßverbot
- 3. Zwischenergebnis
- V. Ergebnis
- 84–107 4. Kapitel: Eingemeindungsverträge und ihr Zustandekommen 84–107
- I. Arten von Eingemeindungsverträgen
- II. Rechtsnatur des Eingemeindungsvertrages
- III. Inhalte von Eingemeindungsverträgen
- 1. Obligatorische Bestimmungen nach § 9 Abs. 1 GemO
- a) Umfang der Grenzänderung und Zeitpunkt der Rechtswirksamkeit
- b) Neues Ortsrecht
- aa) Allgemeines Ortsrecht
- bb) Abgabenrecht
- c) Rechtsnachfolge und Auseinandersetzung
- d) Neue Verwaltung
- e) Vertretungsregelung
- 2. Fakultative Bestimmungen
- a) Aufrechterhaltung von Gemeindeeinrichtungen
- b) Investitions- und Planungsmaßnahmen
- c) Einführung der Ortschaftsverfassung
- d) Zwischenergebnis
- IV. Zustandekommen von Eingemeindungsverträgen
- 1. Formelle Voraussetzungen
- a) Beschluss durch den Gemeinderat
- b) Anhörung der Bürger nach Art. 74 Abs. 2 Satz 3 LV, § 8 Abs. 2 Satz 3 GemO
- c) Genehmigung der Rechtsaufsichtsbehörde
- 2. Materielle Voraussetzungen
- 3. Rechtsbindungswille
- 108–146 5. Kapitel: Die Bindungswirkung von Zusagen in Eingemeindungsverträgen 108–146
- I. Rechtswirksamkeit von Zusagen in Eingemeindungsverträgen
- 1. Grundsatz der Gesetzmäßigkeit
- 2. Modifikation des Gesetzmäßigkeitsgrundsatzes
- a) Vorrang des Gesetzes
- b) Vorbehalt des Gesetzes
- aa) Gestaltungsfreiheit in Verwaltungsverträgen
- bb) Zwischenergebnis
- c) Vertragsgestaltung in Eingemeindungsverträgen
- aa) Zusagen in Eingemeindungsverträgen im Hinblick auf das Vorbehaltsprinzip
- bb) Zusagen in Eingemeindungsverträgen im Hinblick auf das Vorrangprinzip
- (1) Zuständigkeit der Gemeinde
- (2) Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit aus § 77 Abs. 2 GemO
- d) Zwischenergebnis
- 3. „Rechtswidrige“ Verwaltungsverträge
- a) Folgen „rechtswidriger“ Verwaltungsverträge
- aa) Nichtigkeitsgründe des § 59 LVwVfG
- bb) Nichtigkeitsfolgen
- b) Vereinbarkeit von § 59 LVwVfG mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung
- aa) Fehlerfolgen von Verwaltungsakten
- (1) Rechtswirksamkeit von Verwaltungsakten
- (2) Bestandskraft von Verwaltungsakten
- (a) Formelle Bestandskraft
- (b) Materielle Bestandskraft
- bb) Vergleich der Rechtsfolgenregelung des § 59 LVwVfG mit der Bestandskraft von Verwaltungsakten
- cc) Rechtfertigung der Rechtsfolgenregelung des § 59 LVwVfG
- dd) Zwischenergebnis
- c) Ergebnis
- II. Grundsatz der Vertragstreue
- III. Auswirkungen des Untergangs der eingegliederten Gemeinde auf die Zusagen
- 1. Konfusion
- 2. Weiterbestehen der Zusagen aus dem Eingemeindungsvertrag
- 3. Ergebnis
- 147–197 6. Kapitel: Durchsetzbarkeit der Zusagen aus Eingemeindungsverträgen 147–197
- I. Gerichtliche Geltendmachung
- 1. Parteifähigkeit
- a) Fortbestehen trotz Untergang zum Zweck der gerichtlichen Geltendmachung
- b) Zeitliche Dauer des Fortbestehens zum Zweck der Prozessführung
- 2. Prozessfähigkeit
- a) Streitvertreter nach § 9 Abs. 1 Satz 4 GemO
- aa) Ortschaftsrat als Streitvertreter aufgrund seiner Bestimmung nach § 9 Abs. 1 Satz 4 GemO
- bb) Zwischenergebnis
- b) Fehlen eines nach § 9 Abs. 1 Satz 4 GemO bestimmten Streitvertreters
- aa) Vergleich zu Eingliederungsverträgen von Bundesländern
- (1) Repräsentation der eingegliederten Gemeinde als Ansatzpunkt
- (a) Repräsentation der eingegliederten Gemeinde durch den Ortschaftsrat
- (b) Demokratische Legitimation des Ortschaftsrats
- (2) Zwischenergebnis
- bb) Bestellung eines Prozesspflegers für die eingegliederte Gemeinde
- (1) Analoge Anwendung des § 57 Abs. 1 ZPO im Verwaltungsprozess
- (2) Erweiternde Anwendung des § 57 Abs. 1 ZPO analog
- (a) Planwidrige Regelungslücke
- (b) Vergleichbarkeit der Sachverhalte
- (3) Antrag auf Bestellung eines Prozesspflegers nach § 57 Abs. 1 ZPO
- (a) § 21 Abs. 3 GemO als kommunalrechtliches Rechtsinstitut zur Antragstellung
- (b) Analoge Anwendung von § 21 Abs. 3 GemO
- (aa) Planwidrige Regelungslücke
- (bb) Vergleichbarkeit der Sachverhalte
- (aaa) Vergleichbarkeit des Antrags auf Bestellung eines Prozesspflegers hinsichtlich Sinn und Zweck des Bürgerbegehrens
- (bbb) Vergleichbarkeit des Antrags auf Bestellung eines Prozesspflegers hinsichtlich des Gegenstands des Bürgerbegehrens
- (c) Stellungnahme
- cc) Zwischenergebnis
- c) Zusammenfassung
- 3. Ergebnis
- II. Außergerichtliche Geltendmachung
- 1. Fortbestehen der eingegliederten Gemeinde zur außergerichtlichen Streitbeilegung
- a) Wortlaut des § 9 Abs. 1 Satz 4 GemO
- b) Befugnisse des Vertreters nach § 9 Abs. 1 Satz 4 GemO
- c) Sinn und Zweck des § 9 Abs. 1 Satz 4 GemO
- 2. Streitvertreter zur außergerichtlichen Streitbeilegung
- 3. Ergebnis
- 198–269 7. Kapitel: Ausnahmen der Bindungswirkung von Zusagen in Eingemeindungsverträgen nach § 60 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG 198–269
- I. § 60 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG
- 1. Aktuelle Fälle aus der Praxis
- a) Auflösung der freiwilligen Feuerwehr
- b) Auflösung eines Kindergartens
- 2. Tatbestandsvoraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG
- a) Änderung der für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verhältnisse
- b) Wesentlichkeit der Änderung
- c) Änderung nach Vertragsschluss
- d) Unzumutbarkeit des Festhaltens
- 3. Rechtsfolgen des § 60 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG
- a) Anpassung
- b) Kündigung
- II. Typische kommunale Veränderungen
- 1. Finanzielle Verhältnisse
- 2. Demografische Entwicklung
- 3. Nachfrage kommunaler Leistungen
- 4. Informationstechnologie in den Gemeinden
- III. Anwendung des § 60 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG auf Zusagen in Eingemeindungsverträgen
- 1. Auflösung der freiwilligen Feuerwehr
- 2. Auflösung des Kindergartens
- 3. Stellungnahme
- IV. Weitergehende Anwendung des § 60 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG auf Eingemeindungsverträge
- 1. Auswirkungen der Bindungswirkung auf die Gemeinden
- a) Auswirkungen auf das Selbstverwaltungsrecht
- aa) Entschließung zu freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben
- bb) Gestaltung der kommunalen Aufgaben
- cc) Selbstbindung der Gemeinden
- b) Auswirkungen auf die durch § 77 Abs. 2 GemO geschützten öffentlichen Interessen
- 2. Rechtfertigung der weitergehenden Anwendung des § 60 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG
- a) Erweiternde Auslegung des § 60 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG
- aa) Erweiterung des Tatbestandsmerkmals der wesentlichen Änderung
- (1) Entwicklungsgeschichte von § 60 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG
- (a) Clausula rebus sic stantibus
- (b) Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage
- (c) Entwicklung im Verwaltungsrecht
- (d) Coburg – Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
- (e) Stellungnahme
- (2) Sinn und Zweck von § 60 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG
- (3) Zwischenergebnis
- bb) Interessenverschiebung bei der Frage der Unzumutbarkeit
- b) Fälle schwerer Äquivalenzstörungen bei Eingemeindungsverträgen
- 3. Ergebnis
- 270–274 Gesamtergebnis und Zusammenfassung 270–274
- 275–278 Ausblick 275–278
- 279–304 Literaturverzeichnis 279–304